TAFSIR
بِسْمِ ٱللَّهِ ٱلرَّحْمَٰنِ ٱلرَّحِيمِ
Als erster Vers steht in der Al-Fātiḥa die Basmala, welche lautet: ”Bismi-llāhi-r-rāḥmāni-rraḥīm.“ Darüber, ob die Basmala ein eigenständiger Vers am Anfang jeder Sura (außer der neunten) ist oder nicht, sind die islamischen Gelehrten unterschiedlicher Meinung; denn für die Gültigkeit beider Lehrmeinungen können jeweils Ḥadīṯe als Beweise herangezogen werden. Die meines Erachtens überzeugendere und gewichtigere Beweisführung ist die derjenigen Qur’ān- Gelehrten, die meinen, die Basmala sei kein eigener Vers: Sie führen u.a. den schon erwähnten Ḥadīṯ über Abū Sa‘īd an, worin der Prophet Muḥammad, Allāhs Segen und Friede auf ihm, die Rezitation „der bedeutendsten Sura des Qur’ān „mit der „Al-Ḥamdala“ – dem zweiten Vers also – und nicht mit der Basmala beginnt. In einem anderen Ḥadīṯ, der von Muslim überliefert wird, bestätigt auch ‘Ā’iša (r), die Ehefrau des Propheten, dass er die Qur’ān-Rezitationen im Gebet mit der Al-Ḥamdala begonnen habe. Und in einem weiteren Ḥadīṯ berichtet der Prophetengefährte Ibn ‘Abbās (r): ”Der Gesandte Allāhs, Allāhs Segen und Friede auf ihm, wusste keine Einleitung der Suren, bis ihm „Bismi-llāhi-r-raḥmāni-r-raḥīm“ offenbart wurde.“ Aus dieser Überlieferung geht eindeutig hervor, dass die Basmala zu Beginn der Suren nicht als deren integraler Bestandteil, sondern als eine von ihnen formal abgesetzte Einleitung anzusehen ist. Doch Allāh (t) weiß es am besten. Dass die Basmala in der ersten Sura dennoch die Versnummer 1 erhält, ergibt sich daraus, dass sie ja der erste Bestandteil der gesamten, durch Verszählung gekennzeichneten Offenbarung ist und somit selbst vom Zählungssystem erfasst wird. Vor den anderen Suren fungiert die Basmala dagegen als reine Einleitung und wird nicht gesondert nummeriert. Wenden wir uns nun der Interpretation zu: Die Basmala hat den Wortlaut: ”Im Namen Allāhs, des Allerbarmers, des Barmherzigen“. Der Name „Allāh“ steht nur unserem Schöpfer allein zu; dieser setzt sich zusammen aus dem Artikel „Al“ und dem arabischen Wort „Ilāh“. Al-Ilāh bedeutet demnach „der Gott“, d.h. der alleinige Gott, neben Dem es keine anderen Götter gibt. Dieser Name „Allāh“ ist nicht übersetzbar; denn er ist ein Eigenname unseres Schöpfers, der zugleich alle Attribute umfasst, die Ihm zustehen, und zu diesen 99 Attributen oder „Namen“ Allāhs, die im Qur’ān genannt werden, gehören auch der „Allerbarmer“ und der „Barmherzige“. Die beiden arabischen Worte „Ar-Raḥmān“ und „Ar-Raḥīm“ werden von dem Wort „Raḥma“ (Erbarmen) abgeleitet; das Wort „Ar-Raḥmān“ (der Allerbarmer) darf jedoch nur ausschließlich für Allāh (t) angewendet werden; denn es umfasst die Gesamtheit der Arten von Barmherzigkeit im Diesseits und im Jenseits, nämlich die Gnade Allāhs, Seinen Schutz, Seine Rechtleitung, Seine Vergebung am Jüngsten Tag usw., und besitzt mit dieser Inhaltsfülle eine weitergehende Bedeutung als „Ar- Raḥīm“ (der Barmherzige). Dieses letztere Wort kann auch auf den Menschen angewendet werden; die in ihm ausgedrückte Barmherzigkeit beschränkt sich lediglich auf das Diesseits. Manche Qur’ān-Kommentatoren meinen auch, dass „Ar-Raḥmān“ sich auf die gesamte Schöpfung beziehe, „Ar-Raḥīm“ hingegen nur auf die Gläubigen; andere sind der Ansicht, dass die Form „Ar-Raḥmān“ nach der Wortbildungslehre die Größe und Vielfalt von Allāhs Barmherzigkeit ausdrücke, während die Form „Ar-Raḥīm“ das Andauern bzw. die Unaufhörlichkeit Seiner Barmherzigkeit bezeichne. Wie umfassend und mannigfach die Barmherzigkeit Allāhs ist, tritt uns auch klar vor Augen in Sura 55, die den Titel „Ar-Raḥmān“ trägt. Wie bereits gesagt, hat der Prophet Muḥammad, Allāhs Segen und Friede auf ihm, mit der Basmala die Qur’ān-Rezitation eingeleitet; ebenso begann er das Gebet mit diesen Worten. Darüber hinaus ist es im Islam jedoch ein Gebot, jede Handlung mit der Basmala anzufangen; denn, wie der Prophet, Allāhs Segen und Friede auf ihm, sagte, ist ”jede Handlung, die nicht mit „Bismi-llāhi-r-raḥmāni-r-raḥīm“ begonnen wird, (vom Segen) verstümmelt.“(r)
TAFSIR
ٱلْحَمْدُ لِلَّهِ رَبِّ ٱلْعَٰلَمِينَ
”Alles Lob gebührt Allāh“ bedeutet, dass man Allāh (t) in jeder Lebenslage und unter allen Umständen dankt und Ihn lobpreist – auch und gerade dann, wenn etwas geschieht, was wir als scheinbar nachteilig oder schlecht für uns ansehen. Denn oft lässt Allāh (t) etwas geschehen, was auf uns im ersten Augenblick wie ein Unglück wirkt, etwas, wodurch wir uns in eine Notlage versetzt fühlen, oder etwas, was wir eigentlich gar nicht wollen, was sich jedoch später als Wohltat für uns erweist. Auch lässt Allāh (t) zuweilen Gläubige deshalb in ungünstige Situationen geraten, um ihre Standfestigkeit, aufrichtige Gottesfurcht und Stabilität im Glauben zu prüfen. Die Al-Ḥamdala bedeutet also nicht nur „Danken“ und „Loben“ im engeren Sinne des Wortes, sondern begreift „Lob“ als ein demütiges und verehrendes Lobpreisen Allāhs in allen guten sowie weniger guten Lebenslagen, dargebracht mit Aufrichtigkeit des Herzens und erfüllt von Liebe zu Ihm, Dem Allerbarmer, Dem Barmherzigen. Im Hinblick auf den sprachlichen Aspekt ergibt sich daraus, dass man im Arabischen das Wort „Ḥamd“ nur allein in Bezug auf Allāh (t) verwendet, während man immer dann, wenn man vom Lob eines Menschen spricht, das Wort „Madḥ“ gebraucht. So, wie man zu Beginn einer Handlung die Basmala spricht, sollte man jede Tat mit der Al-Ḥamdala beenden. Darum ist es z.B. Brauch, am Ende jeder Mahlzeit „Al-ḥamdu li-llāh“ zu sagen; ein anderer Brauch ist, dass jemand, der geniest hat, die Al-Ḥamdala spricht. Der zweite Vers der Al-Fātiḥa wird nach der Al-Ḥamdala mit den Worten „dem Herrn der Welten“ fortgesetzt. Das Attribut „Rabb“ (Herr) ist ebenfalls einer der neunundneunzig Namen Allāhs – es bedeutet „Herr“, „Besitzer“, „Gebieter“, „Eigentümer“, „Leiter“, „Angebeteter“, und es darf, wenn es alleinsteht, ebenfalls nur im Zusammenhang mit Allāh (t) verwendet werden. Unter den „Welten“ ist die Gesamtheit der Schöpfung zu verstehen. Dies erfahren wir aus dem Qur’ān selbst, und zwar aus Sura 26:23f.: ”Pharao sagte: »Und was ist der Herr der Welten?« Er (Moses) sagte: »Der Herr der Himmel und der Erde und dessen, was zwischen den beiden ist.«“ Der Vers ”Alles Lob gebührt Allāh, dem Herrn der Welten“ ist von weitreichender Bedeutung; denn aus ihm schöpft die Lehre des Tauḥīd. Hier wird die islamische Vorstellung von unserem Schöpfer dargelegt, und hier wird ganz deutlich klargestellt, dass Er der Eine ist, Dem alles Erschaffene gehört, Der alles lenkt und Dem allein Lob und Preis gebühren. Allāh (t) ist es, Der die Menschen erschafft, das Tierreich und die Pflanzenwelt; Allāh (t) ist es, Der sie ernährt, erhält und beschützt; Allāh (t) ist es, Der den Lauf der Gestirne regelt und überwacht. Er ist somit auch der Beherrscher Seiner Schöpfung. Die absolute Einheit und unumschränkte Macht Allāhs sind die Grundlagen des islamischen Glaubens: „lā ilāha illa-llāh“ (kein Gott ist da außer Allāh), wie es auch im Glaubensbekenntnis der Muslime heißt.